Klirrrrr I. (2014)
Ich ahne leider, was das eben für ein Geräusch war. Es ist immerhin kurz vor Weihnachten, das Haus ist mit vielen schönen und leicht zerbrechlichen Dingen geschmückt. Ganz davon abgesehen, dass wir seit mehr als 1,5 Jahren ein kleines Tasmanisches Teufelchen im Hause haben, das eine Schwäche für glänzende Dekorationsobjekte zu haben scheint. Ich unterschätze immer wieder, wie schnell Sophia bereits ist und wie flink sie überall hochklettern kann. Ich laufe ins Wohnzimmer, aus dem das Geräusch nach zerbrochenem Glas meiner Meinung nach gekommen sein muss. Wo ich mich gerade aufgehalten habe? Logischerweise nicht im Wohnzimmer, sondern im Badezimmer. Ich habe Wäsche aufgehängt. Denn mit einem kleinen Menschen im Haus fällt unwahrscheinlich viel kleine Wäsche an. Egal.
Im Wohnzimmer angekommen, blicke ich zunächst in zwei unschuldig dreinblickende, große braune Augen. Dann auf zwei süße kleine Hände, die mir den unzerbrochenen Rest von Irgendetwas entgegen strecken. Dann auf den zuckersüßen Mund, der mit einer engelsgleichen Piepsstimme sagt: „Mein armes Herz…“ ( Ja, das kann sie sagen. Sprachlich ist Sophia ihren Altersgenossen um Längen voraus. Von der Körperlänge übrigens auch. Nur der Vollständigkeit halber…) Hm? Das ist doch sonst mein Text, wenn es Sophia nicht gut geht… Sollte das ihr Versuch sein, mich trösten zu wollen und einer Standpauke entgegenzuwirken? Guter Versuch, denn erst jetzt sehe ich, worum es sich bei dem zerbrochenen Irgendetwas handelt: um eine Christbaumkugel, die keine ist, sondern ein Herz. Mein Lieblingsherz. Das erste Deko-Herz, das ich mir gekauft habe. Nach meinem Abitur und kurz vor dem Einzug in meine eigene Bude (auch WG-Zimmerchen genannt). Das Herz, das das ganze Jahr an meinem Spiegel hing. Das ich mir stolz in einem teuren „Schickimicki“-Laden in Kiel gekauft habe (den Laden gibt’s nicht mehr…ich frage mich nur, warum? 🙂 ). Das Herz mit der schönen Bauernsilber-Optik und der Verzierung mit Perlen und Schmucksteinen. Ich lasse mir meine Enttäuschung über das zerbrochene Herz nicht anmerken. Ich bin ja auch selber schuld. Wer stellt denn bitteschön eine Schale voll mit Christbaumkugeln mitten auf den Esstisch, nur weil bald Weihnachten ist, wenn man ein kleines Kind im Haus hat? Richtig. Niemand. Das hatte mein schwangerschafts- umnebeltes Hirn einfach vergessen (ja, Jakob hörte bereits mit). Ich sammle also schnell die Glassplitter ein und erkläre Sophia in Ruhe, dass ich zwar ihre Begeisterung für Schönes teile, ihre kleinen Langfinger in Zukunft aber nicht mehr an Mamas Deko sehen möchte. 🙂 Das Kind scheint einsichtig zu sein. Das zerbrochene Herz behalte ich aber trotzdem. Irgendwie hänge ich daran.
Klirrrrr II. (2016, gestern, um genau zu sein)
Noch bevor ich es sehe, weiß ich sofort, was da eben zerbrochen ist. Ich habe ein Déjà-vu-Erlebnis. Das scheint so ein intuitives, allwissendes Mama-Gen zu sein, das sich automatisch in mir meldet. Schon wieder hänge ich Wäsche auf (oh man, es wird immer mehr!), schon wieder die Christbaumkugeln. Dabei liegen sie dieses Mal nicht in Kinderreichweite. Wie kann das sein? Und wer von beiden war es dieses Mal? Sicher Jakob, der kleine Schlingel. Er ist mit seinen 1,5 Jahren so schnell wie der Blitz. Ich begebe mich also zügig zum Tatort, erneut das Wohnzimmer, und erblicke zunächst…nichts. Nanu? Dann fällt es mir ein. Jakob ist gerade nicht im Haus, sondern verbringt seinen Tag bei meiner Mutter (Oma-Verwöhnprogramm-deluxe, für ihn, aber auch für mich irgendwie 🙂 ) und Sophia veranstaltet (den Geräuschen nach zu urteilen) gerade oben in ihrem Zimmer eine Pferd-und-Reiter-Tanzparty. Was ist also passiert? Die Aufhängung hat sich gelöst, die Kugel (die auch dieses Mal ein Herz ist) ist dem Gesetz der Schwerkraft gefolgt. Ich bin schuld, erneut. Der Knoten war wohl nicht fest genug. Leise vor mich hin fluchend, sammle ich die Scherben ein und denke über die Redensart nach, dass Scherben angeblich Glück bringen. Warum eigentlich? Mir zeigen sie etwas anderes:
- Scherben können nur weh tun (Aua!).
- Christbaumkugeln in Herzform sollte ich wohl besser nicht mehr kaufen.
- Ich sollte mein Herz nicht an kaputte Christbaumkugelherzen hängen und sie ab jetzt entsorgen.
- Nicht immer sind es die Kinder.
- Die Mutti hat auch mal Schuld.
- Und müde…
Zu müde offensichtlich, wenn ich nicht einmal genau weiß, wie viele Kinder sich gerade im Haus befinden…Ich werfe die sterblichen Überreste beider Herzen in den Müll und setze mich anschließend aufs Sofa. Jetzt entspanne ich mich erst einmal. Die Wäsche muss warten. Sophia gesellt sich zu mir, ein Buch unterm Arm. Ihr Adventskalenderbuch mit 24 kleinen Geschichten, die das Warten auf den Heiligen Abend verkürzen sollen. Gemeinsam lesen wir daraus eine Weihnachtsgeschichte.
Es geht um eine zerbrochene Christbaumkugel und darum, dass ihre Scherben letzten Endes doch Glück bringen. Das nenne ich mal Ironie des Schicksals…
Eure Regina
Oje, was für eine Ironie! Und das Klirr-I-Herz war wirklich wuuuunderschööön!! 😪
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